Medizinische Notfallsituation erfordern sofortige Massnahmen. Gleichzeitig müssen diese den Patientenwillen berücksichtigen. Um dies sicherzustellen, existieren verschiedene Formulare, meist unter dem Namen «Ärztliche Notfallanordnung». Eine nationale Arbeitsgruppe untersucht in einem Teilprojekt die Bedeutung dieser Formulare und ihr Verhältnis zu anderen Dokumenten der Gesundheitlichen Vorausplanung (GVP). Ziel ist ein einheitliches Formular für die ganze Schweiz.
Bestehende Dokumente der Gesundheitlichen Vorausplanung (GVP) wie Patientenverfügung und Behandlungsplan enthalten oft keine rasch erkennbaren Handlungsanweisungen für Notfallsituationen. Sie sind daher in solchen Situationen nur bedingt hilfreich. Es fehlt die Zeit, um den mutmasslichen Willen aus offen formulierten Werten abzuleiten.
Das Konzept der GVP für Notfallsituationen bzw. Formulare wie die «Ärztliche Notfallanordnung» schliessen diese Lücke. Allerdings besteht in der Schweiz noch kein einheitliches Verständnis. Aus diesem Grund hat die nationale Arbeitsgruppe GVP eine Sub-Arbeitsgruppe eingesetzt mit dem Auftrag, die Bedeutung dieser Formulare und deren Verhältnis zu anderen GVP-Dokumenten zu klären. Ziel ist es, schweizweit ein einheitliches GVP-Formular für Notfallsituationen einzuführen und zu verwenden (vgl. Empfehlung 11 der GVP-Roadmap).
Beispiel einer Notfallsituation
Bei einer Patientin, die zu Hause oder in einem Alters- und Pflegeheim lebt, kommt es zu einer plötzlichen Verschlechterung des Gesundheitszustandes mit drohendem Kreislaufversagen und Verlust der Urteilsfähigkeit (oder bereits bestehender Urteilsunfähigkeit). Rasche Entscheidungen müssen getroffen werden: Soll intubiert oder eine Reanimation versucht werden? Entspricht eine Verlegung ins Spital dem Willen der Patientin?
Erste Ergebnisse der Sub-Arbeitsgruppe
Basierend auf den Rückmeldungen aus der öffentlichen Vernehmlassung zur Roadmap GVP hat sich die Sub-Arbeitsgruppe den offenen Fragen rund um die GVP für Notfallsituationen angenommen. Im Folgenden werden erste Ergebnisse zur Klärung formaler, medizin-ethischer und rechtlicher Aspekte erläutert.
Inhalte eines GVP-Formulars für Notfallsituationen
Das Formular
- enthält nur Angaben zu akuten medizinischen Notfallsituationen, die eine sofortige Entscheidung über die Durchführung medizinischer Massnahmen erfordern;
- enthält Handlungsanweisungen für Fachpersonen als Ja-Nein-Schema zu Reanimation, invasiver Beatmung, Hospitalisation, Verlegung auf die Intensivstation und lebenserhaltenden Massnahmen.
Zweck und Funktion
Das Formular
- erhöht die Gültigkeit der Vorausplanung und stellt sicher, dass der Patientenwille im Notfall respektiert wird;
- dient als Kommunikationsmittel zwischen den Institutionen (Rettungsdienst, Spital, Pflegeheim etc.);
- wird sowohl zu Hause bzw. im ambulanten Bereich als auch innerhalb der Institutionen verwendet.
Erstellungsprozess
Das GVP-Formular für Notfallsituationen entsteht im Gespräch zwischen einer betroffenen Person und einer (ärztlichen) Fachperson, in der Regel im Rahmen eines GVP-Prozesses. Das Formular fasst bei vorliegender Patientenverfügung bzw. Behandlungsplan die Handlungsanweisungen für Notfallsituationen zusammen. Gibt es keine Patientenverfügung bzw. bei urteilsunfähigen Personen (noch) keinen Behandlungsplan oder möchten die Betroffenen diese Dokumente nicht erstellen, adressiert die Fachperson im Gespräch zumindest eine Klärung der Werte und Therapieziele, bevor das Formular für Notfallsituationen besprochen und ausgefüllt wird.
Das Formular enthält Handlungsanweisungen mit weitreichenden Folgen. Es ist daher entscheidend, dass die betroffene Person bzw. ihre vertretungsberechtigte Person gut informiert und aufgeklärt den einzelnen Handlungsanweisungen zustimmen oder diese ablehnen kann. Im Gespräch wird sichergestellt, dass nur medizinisch indizierte Handlungsanweisungen vorausverfügt werden.
Zielgruppen
Je wahrscheinlicher eine Notfallsituation mit Urteilsunfähigkeit eintritt, desto sinnvoller ist es, das Formular auszufüllen. Die Erstellung von GVP-Dokumenten ist dabei aber immer freiwillig. Die Erfahrungen der Fachpersonen zeigen jedoch übereinstimmend, dass Betroffene den Mehrwert einer Vorausplanung für Notfallsituationen verstehen und befürworten.
Empfohlen ist die Erstellung des Formulars für alle Personen auf der Stufe 3 «krankheitsspezifische GVP» gemäss Roadmap. Dies umfasst Menschen mit fortgeschrittener unheilbarer Krankheit, chronischen körperlichen und/oder psychischen (Mehrfach-)Erkrankungen inkl. Menschen mit schwerer kognitiver Behinderung sowie Kinder und Jugendliche mit lebenslimitierenden Erkrankungen und/oder Menschen nahe am Lebensende. In Erwägung gezogen werden soll die Erstellung des Formulars für Personen auf der Stufe 2 «vertieft GVP», je nach Situation des bzw. der Betroffenen.
Format
Das Formular ist einseitig und idealerweise landesweit einheitlich gestaltet. Es wird in der Regel zweifach unterschrieben von: a) der betroffenen Person bzw. bei bereits bestehender Urteilsunfähigkeit der vertretungsberechtigten Person und b) der Arztperson.
Zur Dokumentation nicht-indizierter medizinischer Notfallmassnahmen kann das Formular ausnahmsweise nur die ärztliche Unterschrift tragen. Dies ist zum Beispiel der Fall bei einem Spitaleintritt, wenn der Patientenwille noch nicht bekannt und erfasst ist und die medizinische Situation noch nicht mit dem Betroffenen oder seiner vertretungsberechtigten Person besprochen werden konnte.
Aufbewahrungsort
Das GVP-Formular für Notfallsituationen ist in den Systemen der Gesundheitseinrichtungen elektronisch und/oder als PDF hinterlegt. Die betroffene Person, ihre vertretungsberechtigte Person und evtl. weitere nahestehenden Personen verfügen über Ausdrucke des Formulars. Ein einheitlich festgelegter Aufbewahrungsort ist entscheidend. Institutionsintern im Dossier der betroffenen Person, im Alters- und Pflegeheim auch physisch bei der betroffenen Person und zu Hause an einem definierten Ort wie etwa an der Innenseite der Wohnungstüre.
Rechtliche Aspekte
Zur Erläuterung der rechtlichen Fragen hat die SAMW ein Gutachten in Auftrag gegeben bei Prof. Dr. iur. Regina Aebi-Müller, Universität Luzern. Dabei ging es insbesondere um die rechtliche Positionierung der bereits in vielen Kantonen und Spitälern verwendeten Formulare «Ärztliche Notfallanordnung», da im Zivilgesetzbuch (ZGB) nur die GVP-Instrumente Patientenverfügung und Behandlungsplan explizit erwähnt sind.
Für die Positionierung des GVP-Formulars für Notfallsituationen bzw. die bestehenden Formulare lassen sich aus dem Gutachten die folgenden Erkenntnisse ableiten:
Obwohl das Formular in den rechtlichen Grundlagen nicht erwähnt wird, ist es ein gültiges GVP-Dokument, das in der Behandlung berücksichtigt werden muss. Dies aus zwei Gründen: Erstens kann sich eine Patientenverfügung auf bestimmte Situationen beschränken inklusive Notfallsituationen. Zweitens besteht ein Bezug zum Behandlungsplan, der nicht nur die aktuelle medizinische Situation, sondern auch eine zu erwartende Notfallsituation abdecken muss.
Ein GVP-Formular für Notfallsituationen als separates Dokument ist auch aus rechtlicher Sicht zu begrüssen. Sowohl bei einer Patientenverfügung wie auch im Kontext eines Behandlungsplans ist es wünschenswert, dass eine Werteklärung sowie Angaben zu Therapiezielen oder möglichen Szenarien bei einer Urteilsunfähigkeit enthalten sind. Im Notfall ist es oft schwierig, daraus rasch genug die angezeigte Handlungsanweisung abzuleiten. Das Formular schliesst diese Lücke und trägt entscheidend dazu bei, die Achtung des Patientenwillens sicherzustellen.
Zusammensetzung der Sub-Arbeitsgruppe
Die breit abgestützte Sub-Arbeitsgruppe ist seit Sommer 2024 aktiv.
Prof. Dr. med. Miodrag Filipovic, St. Gallen, Intensivmedizin, Vorsitz
lic. theol., dipl. biol. Sibylle Ackermann, Ethik, SAMW (ex officio)
Dr. med. Gabriela Bieri-Brüning, Zürich, Geriatrie/stationäre Langzeitpflege
Prof. Dr. med. Monica Escher, Genève, Palliative Care
Monica Fliedner, Bern, Palliative Care (in Vertretung von Prof. Dr. med. Steffen Eychmüller)
Dr. iur. Caroline Hartmann, Bern, Recht
Isabelle Karzig-Roduner, RN, MAE, MScN, Zürich, Advance Care Planning
Prof. Dr. med. Dagmar Keller, St. Moritz, Notfallmedizin
Prof. Dr. med. Tanja Krones, Zürich, Klinische Ethik
Dr. med. Barbara Loupatatzis, Wetzikon, Advance Care Planning
Dr. med. Philippe Luchsinger, Affoltern, Hausarztmedizin
Dr. med. Marc Lüthy, Basel, Rettungsmedizin
Dr. phil. Daniela Ritzenthaler, Lausanne, Ethik
lic. iur. Michelle Salathé MAE, Basel, Ethik und Recht
Dr. med. Andrea Trippini, Lausanne, Intensivmedizin
Silke Walter, MSc Palliative Care, APN, Liestal, Pflege
Weitere Arbeiten im Teilprojekt GVP für Notfallsituationen
Ziel des Teilprojekts ist ein schweizweit einheitliches GVP-Formular für Notfallsituationen und dessen breite Implementierung. Als nächster Schritt werden die Eckpunkte dazu in einem Konzeptpapier festgehalten und Anfang 2025 in eine breite Vernehmlassung gegeben. Die Vernehmlassung adressiert derzeit noch offene Fragen wie der zukünftige Name des Dokuments in allen Landessprachen, die Art der Visualisierung des Ja/Nein-Schemas oder die Frage des einheitlichen Aufbewahrungsorts.